Doris Marszk

Psychologie: Zorn ist ein Kennzeichen der Mächtigen

Wer auf Pannen anderer mit Zorn reagiert oder Angriffen auf seine Person unwirsch begegnet, gilt sicher nicht als jedermanns Darling, aber seine Umgebung wird ihn oder sie für mächtig und durchsetzungsfähig halten. Allerdings darf der Zorn nicht unkontrolliert sein. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Larissa Z. Tiedens von der Stanford University.

Tiedens zeigte zwei Studenten-Gruppen je zwei Videos, eines über Clinton und eines über einen unbekannten politischen Kandidaten. Die eine Studenten-Gruppe sah beide Politiker in einem ärgerlichen oder gereizten Auftritt, die andere Gruppe sah beide Politiker in einem nachdenklichen, traurigen oder reuigen Zustand (die Clinton-Videos enthielten verschiedene Stellungnahmen zur Lewinsky-Affäre). Sowohl für Clinton wie für den unbekannten Politiker galt, dass sie in ihren jeweils zornigen oder unwirschen Auftritten die Zuschauer mehr für sich einnahmen. Die Versuchspersonen, die diese Videos gesehen hatten, hielten beide Politiker eher für kompetent und wären bereit, sie zu wählen. Die Versuchspersonen, die die traurigen oder nachdenklichen Statements der Politiker gesehen hatten, beurteilten diese dagegen deutlich schlechter.

In weiteren Experimenten untersuchte Tiedens die Einschätzung von Leuten in Alltagssituationen. Sie bat Angestellte einer großen Software-Firma, ihre Kollegen in emotionaler Weise zu beschreiben. Eine weitere Versuchsgruppe – Studenten eines wirtschaftswissenschaftlichen Seminars – sollte ein Rollenspiel aufführen und hinterher beschreiben, wie sie ihr jeweiliges Gegenüber einschätzen würden. Es zeigte sich bei allen Experimenten, dass die Versuchspersonen den Personen, die in kritischen Situationen eher Zorn als Traurigkeit zeigten, mehr zutrauten, sie eher wählen würden, ihnen höhere Gehälter zahlen würden und sie für kompetenter hielten.

Entscheidend ist bei jeglicher Demonstration von Zorn jedoch, dass er kontrolliert wirkt. Der unbeherrschte Wüterich erntet nur Verachtung.

Quelle: Journal of Personality and Social Psychology ( 2001; 80: 86-94)


Quelle: Wissenschaft aktuell, 25. Januar 2001
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