Ein Zoo im Jahr 2000. Keine Viertelstunde vom Lübecker Holstentor entfernt. Ein Zoo, für den es nur noch einen Ausweg gibt: die sofortige Schließung.
Seit Jahrzehnten stehen Zoos in der Kritik von Tierschützern. Auch der stern hat immer wieder über die Missstände in den deutschen Tiergärten berichtet. Beispielsweise 1976: Der Zoo sei ein "Tier-Zuchthaus, das seine Insassen psychisch und physisch kaputt macht". Gitterhaltung für Wildtiere, zu enge Winterquartiere und die tödliche Langeweile der Zootiere wurden zu Recht angeprangert. Wer heute den Tierpark in Lübeck besucht, muss den Eindruck bekommen, in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten sei nichts passiert. Doch von wegen. 39 Zoos hat der stern in diesem Frühsommer getestet, unterstützt von zwei anerkannten Zoo-Experten: Professor Reinhold Hofmann, langjähriger Direktor des Berliner Instituts für Zoo- und Wildtierforschung und seit Anfang des Jahres emeritiert, und der Fachjournalist Herman Reichenbach (unter anderem "International Zoo News"). Die Test-Zoos wurden nach ihrer regionalen Bedeutung ausgewählt und in zwei Größen-Kategorien unterteilt. Die Prüfer bewerteten inkognito und aus Besuchersicht jedes einzelne Gehege. Es gab Schulnoten von 1 bis 6 für Raumangebot und Gestaltung der einzelnen Anlagen. Dem Durchschnitt dieser beiden Bewertungen entsprach die Gehege-Note. Zensuren gab es auch für die landschaftliche Gestaltung der Gesamtanlage und den Besucherkomfort (unter anderem Restauration, Kinderspielplatz, Wegführung).
Die Zoo-Fauna wurde nach tierhalterischen Kriterien in zwölf Gruppen gegliedert (zum Beispiel "Menschenaffen", "Dickhäuter", "Große Raubtiere"). Besonders bei den Säugetieren haben wir genauer hingeschaut, da sie für die meisten Besucher am attraktivsten sind. Hier wurde jede einzelne Art zensiert. Aquarien und Terrarien bekamen hingegen Gesamtnoten. Aus den einzelnen Gehege-Noten wurden dann Noten für die jeweilige Tiergruppe ermittelt. Aus diesen ergab sich die Tierhaltungsnote, die mit 70 Prozent in die Gesamtzensur einging. Die landschaftliche Gestaltung wertete 20 Prozent, der Besucherkomfort 10 Prozent. In der Gesamtwertung wurden folgende Prädikate vergeben: erstklassig (bis 1,99), gut (2,00-2,49), passabel (2,50-2,99), zwiespältig (3,00-3,49), unzulänglich (3,50-3,99), miserabel (ab 4,00).
Katastrophale Zustände wie in Lübeck blieben zum Glück einmalig. Für die meisten Test-Zoos gilt: Es hat sich eine Menge getan. Die Zoodirektoren haben offenbar erkannt, dass der Anblick von Tieren nicht Mitleid erwecken, sondern Freude machen soll. Und so steckt die Tierhaltung im Wandel. Moderne Zoos haben begriffen, dass sie einen Kompromiss eingehen müssen zwischen den Bedürfnissen ihrer Besucher und denen der Tiere. Käfighaltung und gelangweilte Tiere soll es im Zoo bald nicht mehr geben, dafür Freigehege und Unterhaltung, das so genannte "behavioural enrichment". Die Tiere sollen sich artgerecht entfalten können, sollen spielen, jagen, sich verstecken können. Der Einfallsreichtum der Pfleger kennt dabei keine Grenzen: Im Münchner Tierpark Hellabrunn oder im Duisburger Zoo müssen die Hyänenhunde einem Brocken Fleisch hinterherjagen, der an einer Seilwinde durchs Gehege gezogen wird. Im Berliner Tierpark Friedrichsfelde spielen die Eisbären mit einer Eisscholle aus Kunststoff - simpler Trick, aber vor Jahren noch undenkbar. Das alles in möglichst naturgetreuer Umgebung, die den Tieren ihre Gefangenschaft erleichtert - sofern sie die überhaupt wahrnehmen -, und dem Betrachter Lust macht zuzuschauen. Dass er das Tier im hohen Gras oder dichten Gebüsch dann vielleicht gar nicht mehr zu sehen bekommt, muss der Zoobesucher heute in Kauf nehmen. Umso natürlicher, wenn dann zum Beispiel im Duisburger Zoo der Waschbär plötzlich hinter einem Strauch hervorlugt, rasch auf eine kleine Insel läuft und sich dann im Gestrüpp wieder verkriecht. Eine Familie, vom stern-Team beim Testbesuch beobachtet, war begeistert.
Dennoch scheitert die artgerechte Haltung von Tieren oft an Platz- und Geldmangel. Auch der Denkmalschutz erschwert notwendige Gehege-Sanierungen. So müssen sich die Zoos häufig von betroffenen Arten trennen. Der Zoo Leipzig beispielsweise wird sein architektonisch wertvolles Raubtierhaus von 1901 in ein "Education Center" umbauen. Die darin gehaltenen Java-Leoparden werden in diesem Sommer an einen anderen Zoo abgegeben, die Jaguare stehen auf der Warteliste. Für sie hat sich noch kein neues Zuhause gefunden. Der Berliner Zoo ist zwar heute noch immer mit rund 1500 Tierarten der artenreichste der Welt, hatte vor wenigen Jahren aber noch 2000 Arten in der Haltung. Der Hamburger Tierpark Hagenbeck hat sich von so attraktiven Tieren wie den Nashörnern, den Schimpansen und den Delfinen getrennt. Woanders hat man sich für den kompletten Neubau entschieden. So wird der Ruhr Zoo in Gelsenkirchen im nächsten Jahr total abgerissen und neu gebaut.
Wie sich ein Zoo verändern kann, zeigt das Beispiel Hannover. 107 Millionen Mark wurden dort im Vorfeld der Expo verbaut. Die Elefanten bekamen einen Palast, die Gorillas einen eigenen Hügel und die Flusspferde ein großzügiges Becken. Allein über 45 Millionen Mark wurden für den Bau des "Sambesi-River" ausgegeben, sodass das Publikum jetzt auf einem Flüsschen an Antilopen, Nashörnern und künstlichen Felsen vorbeischippern kann. Das Ganze erinnert mehr an Disney World als an einen Zoo, doch Geschäftsführer Klaus-Michael Machens ist sicher, "dass die Besucher heute ein Erlebnis wollen". Immerhin stieg ihre Zahl von knapp 650000 Mitte der 90er Jahre auf rund 970000 im vergangenen Jahr. Unverständlich ist, weshalb ein Teil des Zoos auf dem Stand von vorgestern verharrt und die Besucher daran vorbeigeführt werden. Für die Haltung des Walrosses und des Eisfuchses, der Eis- und Braunbären, Kaffernbüffel und Präriehörnchen konnte der stern nur eine Fünf geben.
Müssen Tiere denn überhaupt hinter Gittern gehalten werden? Nur damit wir Menschen sie anstarren können? "Rund 95 Prozent aller Kinder erhalten ihre ersten prägenden Eindrücke von der Vielfalt der Tierwelt im Zoo", sagt stern-Tester Reinhold Hofmann. Kein Tierfilm im Fernsehen, keine CD-Rom im Computer kann den sinnlichen Eindruck der Gerüche und Geräusche im Zoo ersetzen. Nirgendwo sonst können Tiere so hautnah erlebt werden. Und für die Säugetiere gilt, dass sie heute zum weit überwiegenden Teil im Zoo geboren sind, sie also die freie Wildbahn nie erlebt haben.
Zoos gehören zu den beliebtesten Ausflugszielen für Familien. Allein die vom stern geprüften Tiergärten haben im vergangenen Jahr rund 23 Millionen Besucher gezählt, insgesamt, so Schätzungen, gehen rund 50 Millionen Menschen jährlich in die deutschen Zoos, Wild- und Vogelparks. Zum Vergleich: Die Fußball-Bundesliga kommt auf gerade 9,5 Millionen zahlende Zuschauer.
Bewertung | Legende | |||
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Komfort | 3.75 | Raum | Benotet die Größe des Geheges | |
Landschaftliche Gestaltung | 1.00 | Gestaltung | Benotet die Gestaltung des Geheges | |
Tierhaltung | 2.73 | gesamt | Durchschnittswert | |
Gesamtergebnis | 2.28 | Tier | Zustand der Tiere, ng = nicht gesehen |
2. Die Prüfer bewerteten inkognito und aus Besuchersicht jedes einzelne Gehege - soweit zugänglich. Es gab Schulnoten von 1 bis 6 für Raumangebot und Gestaltung der einzelnen Anlagen. Zusätzlich wurde der Zustand der Tiere mit "+" oder "-" bewertet, was aber nicht in die weitere Benotung einfloss. Der blosse Augenschein wäre dafür nicht ausreichend gewesen.
3. Die Gesamtnote für jedes einzelne Gehege ergab sich aus dem Durchschnitt der Raum- und Gestaltungsnote. Bei einer Fünf hinter dem Komma wurde abgerundet. Beispiel: Das Gehege des Sibirischen Tigers im Zoologischen Garten Berlin wurde mit 2 für den Raum und 1 für die Gestaltung bewertet. In der Gehegenote ergab das: 1 + 2 = 3 : 2 = 1,5, gerundet 2, also "gut". Bei sogenannten Vergesellschaftungen, also mehreren Tierarten in einem Gehege, wurde bei ungeraden Ergebnissen nicht ab-, sondern aufgerundet. Vergesellschaftung ist aus zoologischer Sicht gutzuheißen, weil sie der gefürchteten Langeweile entgegenwirkt. Wurde ein Gehege in einer der beiden Kategorien Raum oder Gestaltung mit 5 oder 6 bewertet, konnte die Gesamtnote für das Gehege nicht besser als 5 oder 6 ausfallen.
4. Zensuren gab es auch für die landschaftliche Gestaltung der Gesamtanlage. Der Benotung des Besucherkomforts ergab sich aus den Durchschnittsnoten der Einzelzensuren für Restauration, Kinderspielplatz, Verteilung und Komfort der Sitzbänke, Wegführung und Gehege-Beschilderung.
5. Um die Tierhaltung insgesamt zu bewerten, wurde die Zoo-Fauna nach tierhalterischen Kriterien in zwölf Gruppen gegliedert (zum Beispiel "Menschenaffen", "Dickhäuter", "Grosse Raubtiere"). Besonders bei den Säugetieren haben wir genauer hingeschaut, da sie für die meisten Besucher am attraktivsten sind. Hier wurde jede einzelne Art zensiert. Aquarien und Terrarien bekamen hingegen Gesamtnoten. Außer Laufvögeln, Greifvögeln und Eulen wurden "Andere Vögel" in maximal sieben Gruppen unterteilt: Sing- und Tropenvögel, Papageien und Sittiche, Wat- und Stelzvögel, Kraniche und Störche, Wassergeflügel und Flamingos, Fasane und Hühnervögel und schließlich Pinguine. Aus den numerischen, nicht gerundeten Gehege-Noten wurden dann Bewertungen pro jeweilige Tier-Gruppe ("Menschenaffen", "Dickhäuter", "Grosse Raubtiere" etc. ermittelt. Aus diesen ergab sich die Tierhaltungsnote, die mit 70 Prozent in die Gesamtzensur einging. Die landschaftliche Gestaltung wertete 20 Prozent, der Besucherkomfort 10 Prozent.
6. In der Gesamtwertung wurden folgende Prädikate vergeben: Erstklassig (bis 1,99), gut (2,00-2,49), passabel (2,50-2.99), zwiespältig (3,00-3,49), unzulänglich (3,50-3,99), miserabel (ab 4,00).