Achim Stößer

Vegan ist nicht genug

Wie Binsenweisheiten als Veganismuskritik verbrämt werden

Veganismus ist notwendig, aber nicht hinreichend: auch ein Veganer kann beispielsweise Rassist oder Speziesist sein.

Antispeziesismus ist notwendig, aber nicht hinreichend: ein Haarmann oder Dahmer kann, ganz unspeziesistisch, Menschen ermorden, somit deren Recht auf Leben verletzen, um ihre Leichen zu verzehren (von einigen wenigen solcher Ausnahmefälle abgesehen impliziert Antispeziesismus aber natürlich Veganismus, wer nicht vegan lebt, ist Speziesist, der durch sein Konsumverhalten die elementaren Rechte anderer Tiere verletzt).

Tierrechte sind notwendig, aber nicht hinreichend (so müssen etwa spezielle Rechte für manche Tiere, die offensichtlich nicht für alle gelten können, berücksichtigt werden, etwa das auf Bildung, das kaum als allgemeines Tierrecht zu implementieren ist).

Antirassismus ist notwendig, aber nicht hinreichend. Pazifismus ist notwendig, aber nicht hinreichend. Etc. pp.

Nicht ohne Grund heißt es in der Agenda der Tierrechtsinitiative Maqi:
"Es versteht sich von selbst und sollte eigentlich nicht erwähnt werden müssen, daß dies rassistisches, militaristisches, faschistisches, theistisches, sexistisches, homophobes - diese Aufzählung ist lediglich exemplarisch, nicht vollständig - Denken ebenso ausschließt wie speziesistisches." (http://maqi.de/txt/agenda.html)
Veganismus ist die Lösung vieler und Teillösung vieler weiterer, nicht aber aller Probleme. Veganismus ist insbesondere und primär die Lösung bei der Abschaffung der Tierausbeutung. Daß Veganismus nebenbei zudem zwingend notwendig ist, um beispielsweise auch ökologisch korrekt zu leben, ist mittlerweile hinreichend bekannt und selbst in der "Welt am Sonntag" (13. August 2006) nachzulesen, die wohl unverdächtig ist, für Veganismus einzutreten (vgl. "Nur Veganer leben ethisch korrekt"). Und selbst bei der Vorbeugung gegen Tsunami-Auswirkungen kann Veganismus überraschenderweise helfen, da die schützenden Mangroven-Wälder zur Garnelenzucht abgeholzt werden ("Tsunami durch Nichtveganismus").

Veganismus ist notwendig, aber nicht hinreichend: das ist so trival, so elementar, warum also darüber einen Text schreiben? Weil, basierend auf dieser Binsenweisheit, Veganismusgegner versuchen, Veganismus zu diskreditieren.

Ein Beispiel hierfür ist der Text "Vegan - ökologisch - politisch" von Jörg Bergstedt (erschienen in "Grünes Blatt, Winter 2006 sowie, in leicht überarbeiteter Fassung, in "Fragend voran", Nr. 2, 2006). Bergstedt verfolgt dabei im wesentlichen zwei "Argumentations"stränge, indem er Veganismus bzw. Veganern vorwirft:
  1. Veganismus ist keine Universallösung für alle Probleme.
  2. Unmögliches ist auch Veganern unmöglich.
Die Schlussfolgerung, die Bergstedt damit impliziert, ist natürlich absurd: weil Veganismus weder Erdbeben durch Plattentektonik verhindert noch bei der Berechnung der Bahndaten einer Plutosonde hilft, und weil Veganer weder auf einen von Unveganern freien Planeten auswandern noch ameisengefährdungsfrei über dem Boden schweben können, ist Veganismus, sind Veganer also unvollkommen, was diesem verschrobenen Gedankengang zufolge Gewaltkonsum rechtfertigt. Auch wenn er das vielleicht nicht explizit sagt, ist es das, was der Text transportiert.

Typisch für solche Antiveganismuspropaganda ist, dass der Autor entweder nicht die geringste Ahnung von der Materie hat, oder aber sie bewusst verzerrt darstellt: typische speziesistische Hetze, wie sie an jeder Straßenecke zu finden ist, wo Unveganer ihre Taten zu rechtfertigen versuchen. Eigentlich sollte doch zu erwarten sein, dass, wer einen Text zum Thema Veganismus schreibt, sich ein wenig mit den Argumenten auseinander gesetzt hat - und somit unter anderem auch die Widerlegung eben dieser speziesistischen Hetze kennen müsste.

Doch Bergstedt hat nicht einmal eine vage Ahnung, was "vegan" überhaupt bedeutet:
"Vegane Ernährung ist der Verzicht auf den Konsum tierischer Produkte." (Bergstedt, a.a.O.)
Analysieren wird diese "Definition" einmal:
  1. Veganismus wird auf eine bloße Kostform, eine Diät reduziert. Ein weit verbreiteter Manipulationsversuch, der meist dazu dient, basierend auf Fällen mangelernährter Anhänger obskurer Ernährungslehren Veganismus zu diskreditieren.
  2. Statt einer neutralen Formulierung - etwa "Vermeidung", "Ablehnung" - wird bewusst ein Dysphemismus eingesetzt: "Verzicht", die wohl am häufigsten in diesem Kontext von Veganismusgegnern verwendetet Wortwahl. So soll der Leser gezwungen werden, mit Veganismus eine Form der Askese zu assoziieren (die Veganismus natürlich nicht ist, im Gegenteil ist gerade die vegane Ernährung um ein Vielfaches abwechslungsreicher als die übliche - was ein Unveganer natürlich kaum ahnen kann, da er lediglich "Verzicht" und einen halbleeren Teller sieht). Und um dem Vorwurf, dass auch dieser Text Dysphemismen enthält, zuvorzukommen: selbstverständlich. Ein Werkzeug, ob rhetorisches Mittel oder Hammer, ist nicht grundsätzlich abzulehnen, es kommt darauf an, was damit gemacht wird. Wenn jemand ein Werkzeug einsetzt, um Veganismus zu diskreditieren oder seinem Nachbarn den Schädel einzuschlagen ist das etwas anderes, als wenn jemand eben dieses Werkzeug verwendet, um Veganismus zu rehabilitieren oder Ketten von Gefangenen zu zerschlagen, um diese zu befreien.
  3. Vegane Ernährung als Nichtkonsum "tierischer Produkte" zu definieren ist natürlich Unfug. Was hat vegane Ernährung etwa mit dem Konsum von "tierischen Produkten" wie unveganem Shampoo oder "Leder"schuhen zu tun?
In der überarbeiteten Fassung wurde die Definition folgendermaßen geflickschustert:
"Vegane Ernährung ist der Verzicht auf den Konsum tierischer Produkte, veganes Leben der Verzicht auf solche Produkte auch bei Kleidung, Medizin usw." (Bergstedt, a.a.O.)
Auch das ist wieder kompletter Unsinn. Wie ist das zu verstehen? "Vegane Ernährung" bedeutet "keine tierischen Produkte" (keinerlei, denn er schreibt ja uneingeschränkt "tierischer Produkte", nicht "tierischer Nahrungsmittel" o.ä.), "veganes Leben" bedeutet "noch keinere tierischen Produkte"? Davon abgesehen bleibt die Kritik am ersten Halbsatz bestehen.
"Allerdings fällt auf, dass vielfach der Blick nur oberflächlich bleibt - beschränkt auf die erste Wirkungsstufe." (Bergstedt, a.a.O.)
Er unterstellt damit, dass Veganismus sich lediglich auf das Offensichtliche bezieht, das Enthaltensein von Leichenteilen etc. in Produkten. Was natürlich nicht mehr ist als eine Unterstellung: Selbstverständlich beinhaltet Veganismus auch "indirekte" Ausbeutung. Dass das in einer speziesistischen Gesellschaft nicht mit beliebiger Rekursivität zu vermeiden ist, ist eine Binsenweisheit, die Veganern ebenso wenig angelastet werden kann wie es Antifaschisten unter der Naziherrschaft angelastet werden konnte, dass sie über Straßen gingen oder Kartoffeln aßen, die mit der Asche aus Krematorien gebaut respektive gedüngt worden waren. Vielmehr ist der Versuch, dies Veganern anzulasten, nichts als das verzweifelte Zappeln der argumentlosen Tierausbeutungsapologeten (und derer, die darauf hereinfallen). Die Täter wälzen ihre Taten (und deren Konsequenzen) auf die, die sie bekämpfen, ab. Ein alter Trick.

Der Folgesatz wird nun völlig absurd:
"Betrachtet wird dabei nur die direkte Linie: Stammt ein Produkt vom vorher lebenden Tier, so [ist] es nicht vegan und wird nicht konsumiert. Stammt es nicht von einem solchen, so kann es bedenkenlos konsumiert werden - politisch korrekt, soweit es auf diesen Punkt beschränkt wird." (Bergstedt, a.a.O.)
Vegan (da kein 'lebendes Tier')
Vegan (da kein "le­ben­des Tier")
Wenn ein Produkt, so behauptet er also, nicht von einem "lebenden Tier" stammt, würden Veganer es konsumieren. Demnach wäre also etwa ein "Schweineschnitzel", das offenbar von einem toten (nicht von einem lebenden) Tier stammt, vegan - wie alle alimentär konsumierten Leichenteile, von wenigen Ausnahmen wie Austern abgesehen. Ob da jemand den alten Witz, dass Veganer "kein Huhn" essen, weil da "Ei drin ist", missverstanden hat? Selbst wenn wir wohlwollend annehmen, dass die Aussage einfach nur wirr formuliert und nicht so gemeint ist: falsch bleibt sie in jedem Fall. Denn Veganer achten sehr wohl nicht nur auf Inhaltsstoffe, sondern auch auf Produktionsprozesse: Essig beispielsweise "stammt" nicht von (lebenden, toten, halb- oder scheintoten etc.) Tieren. Doch bei der Herstellung, beim Klären kann Gelatine eingesetzt werden - und solchen ("indirekt" unveganen) Essig vermeiden Veganer, auch wenn keine Gelatine mehr darin enthalten ist, nun einmal. Bergstedt:
"Würde der Blick auf die komplexen einschließlich der indirekten Wirkungen von Konsum gerichtet, würde das Ergebnis möglicherweise anders ausfallen. Plötzlich würden dann auch viele pflanzliche Produkte nicht mehr vegan sein." (Bergstedt, a.a.O.)
Viele "pflanzliche Produkte" sind nicht vegan (so wie übrigens auch viele nichtpflanzliche Produkte vegan sind). Veganern, auch wenn Allwissenheit und Allmächtigkeit selbst von Veganern zu viel verlangt ist, ist das bekannt und sie handeln danach. Offenbar eine großartige neue Erkenntnis - für jemanden wie Bergstedt, der wie es scheint keine Ahnung hat, was Veganismus bedeutet. Vielleicht projiziert er mit seiner Behauptung aber ja nur das Verhalten der sich vegan nennenden Personen aus seiner Umgebung auf Veganer. Dann könnte dies, das müsste allerdings dazu gesagt werden, eine (berechtigte) Kritik am Pseudoveganismus, jedoch keine Veganismuskritik, sein; und er sollte das (ethisch inakzeptable) Verhalten von Pseudoveganern nicht Veganern unterschieben.

Leichenfraß rechtfertigt Bergstedt mit dem absurden "Argument", dass ohne diesen angeblich diverse "Arten" bedroht seien, denn
"wenn wir deshalb das Ende der Tierhaltung fordern: Was würde der Laubfrosch sagen, der sich ausbreiten konnte, weil für die Tierhaltung Wiesen und Weiden angelegt wurden? Und mit ihm Tausende von Insektenarten, der Storch, die Wiesenweihe ...? Nicht nur die Tierhaltung ist ein Schlag gegen Tiere, sondern auch deren Ende." (Bergstedt, a.a.O.)
Wie breit so eine ausgebreiteter Laubfrosch wohl sein mag? Allein diese Formulierung zeigt, dass Bergstedt unfähig ist, zwischen Individuen und Arten zu unterscheiden. Einmal davon abgesehen, dass zwar Individuen - etwa die von Leichenfressern und Vegetariern ermordeten Milliarden Hühner, Rinder, Schweine, Fische usw., - leiden und ein Lebensinteresse haben, Arten aber nicht, und daher
Artenschützer?
Artenschützer?
Mord nicht durch Artenschutz zu rechtfertigen ist, sollte mittlerweile selbst der starrköpfigste Antiveganer begriffen haben, dass gerade auch Nichtveganismus eine der Hauptursachen für Artensterben ist. Die "Wiesen und Weiden", von denen Bergstedt fabuliert, wurden übrigens wohl kaum auf ehemaligen Autobahnen angelegt. Und in Wahrheit würde ein Ende der Gefangenhaltung von Milliarden Tieren natürlich bedeuten, dass nur ein Bruchteil der landwirtschaftlichen Fläche wie bisher benötigt würde (da der Großteil lediglich dazu dient, die ausgebeuteten Tiere zu ernähren und somit überwiegen Gülle zu produzieren) - der Rest könnte renaturiert werden und so Lebensraum für Laubfrösche (die meisten Laubfroscharten sind - oder waren - übrigens in den Regenwäldern zu finden, die mittlerweile großteils zur Schaffung von Rinderweiden brandgerodet wurden) und Myriaden anderer Individuen unterschiedlichster Arten bieten. Aber Fakten scheinen Antiveganismuspropagandisten ja nicht zu stören. Demgemäss geht es weiter:
"Pflanzen [...] der Acker wird dann wohl mit Kunstdünger gedüngt (weil Stallmist ja fehlt). Die Öl- und Chemieindustrie mit ihren Folgen interessiert offenbar wenig. Nehmen wir die angesichts der Umweltauswirkungen gerade dieser Industrien fatale Ausblendung mal hin." (Bergstedt, a.a.O.)
Was wir nicht hinnehmen, ist Bergstedts kontrafaktische Propaganda. Hat er noch nie von Gründüngung, Pflanzenjauche, Fruchtwechsel, Brache und all den anderen Methoden gehört, mit denen Anbau sowohl ohne Exkremente als auch ohne "Kunstdünger" problemlos möglich ist? Werden nicht seit Jahren etwa im Sojaanbau Megatonnen "Kunstdünger" vermieden durch Einsatz von Bakterien als Wachstumsbeschleuniger (vgl. "Früher war alles anders - heute ist alles Mist")?

Der Dünger-Lüge folgt eine Variante der bekannten Wheat-is-Murder-Propaganda:
"Käfer- und Schmetterlingslarven würden die Pflanzen und Früchte gnadenlos auffuttern. Mäuse, Hamster und mehr knabbern an ihnen herum. Dagegen muss etwas getan werden." (Bergstedt, a.a.O.)
Anschließend schildert er diverse Methoden, wie angeblich "etwas dagegen getan werden [muß]":
"Häutungshemmer, d.h. die Insektenlarven können sich nicht mehr häuten. Sie wachsen aber trotzdem und verrecken elendig am wachsenden Innendruck. Sie zermatschen sich quasi selbst. Und zwar zählbar in Millionen. Dann wären da noch Blutgerinnungshemmer im Angebot, z.B. für Nagetiere. Die kleinen Tiere laufen sie langsam aus, innerlich oder wenn eine Wunde nicht mehr heilen kann. [...] z.B. per Flamme einmal über den Boden (yeah, Gegrilltes - die Zahl der erfassten Tiere kann mensch nur vage schätzen)" (Bergstedt, a.a.O.)
Natürlich hat er schon von bioveganem Landbau gehört (dass dieser in unserer unveganen Gesellschaft nur unzureichend etabliert ist, ist wohl kaum den Veganern anzulasten) - er verschweigt diese Möglichkeit aber bewusst und behauptet:
"Gibt es denn keinen Ausweg? Nein, sondern es kommt noch dicker. Wir bauen noch eine Ecke ein. Selbst wenn das bisher Genannte irgendwie anders machbar wäre (was in Sachen Agrotechnik erst noch erfunden werden müsste) [...]" (Bergstedt, a.a.O.)
Das oben Aufgeführte muss keineswegs erst "noch erfunden" werden. Und natürlich könnten in einer veganen Gesellschaft, selbst wenn es keine anderen Möglichkeiten gäbe, die bösen, bösen Käfer sogar problemlos einen Großteil der Ernte essen - denn schließlich würde für die Menschen nur ein Bruchteil dessen benötigt, was in einer unveganen verschwendet wird: etwa vier Fünftel des Weltsoja- und die Hälfte des Weltgetreideanbaus beispielsweise wird derzeit vernichtet durch Missbrauch zur Ernährung sogenannter "Nutztiere" und damit primär Umwandlung in Gülle - stattdessen ließe sich daraus Tofu und Seitan herstellen, um ein Vielfaches der menschlichen Weltbevölkerung zu versorgen. Und in Wahrheit wäre solch großer Appetit denn doch zu viel verlangt von den Käfern - mit anderen Worten: selbst wenn es unvermeidbar wäre "etwas dagegen [zu tun]", so betrüge dies nur einen Bruchteil dessen, was durch Unveganismus (mit einem um ein Mehrfaches höheren Verbrauch an Pflanzen) verursacht wird.
"[E]s gibt noch die biologische Landwirtschaft, vielleicht eine Rettung. Zwar ist das bereits selten, denn die meisten vegan Lebenden stehen mehr auf Aldi und anderen Billigfraß, aber es gibt Ausnahmen und außerdem wollen wir ja genau sein." (Bergstedt, a.a.O.)
Besser als Erbsen bei Aldi
Besser als Erbsen bei Aldi
Für wie dumm hält Bergstedt seine Leser eigentlich? Davon abgesehen, dass es wohl auch bei Discountern mittlerweile Bio-Möhren und -Äpfel gibt, ist das Angebot an veganen Produkten, von unverarbeitetem Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten abgesehen, doch eher rudimentär, so dass die Behauptung, "die meisten vegan Lebenden stehen mehr auf Aldi" nichts ist als billige Propaganda. An dieser Stelle wäre es interessant, zu erfahren, auf welche repräsentative Umfragen Bergstedt seine Behauptung begründet. Die Vermutung liegt nahe, dass es wieder eine handvoll seiner Bekannten sind, deren Verhalten er projiziert.

Wenig überraschend ist es da, wenn Bergstedt Veganern (wenn auch nicht nur ihnen, er hat wie es scheint noch andere Lieblingsfeinde) "Binäres Denken in Schwarz-Weiß, Gut-Böse" (Bergstedt, a.a.O.) vorwirft. Was hat er nur gegen Schachbretter, Chaplin-Filme oder Panda-Bären? Viele Dinge sind nun einmal schwarz-weiß, wer ein traditionelles Nonnenornat in schillernden Farben sieht hat ein Problem. Manches ist binär: ein bisschen schwanger gibt es nicht. Hexenverbrennung, religiöser Terror, Nationalsozialismus und Unveganismus sind, so ungern er das hören wird, definitiv nicht "gut", auch wenn ein Scheiterhaufen schön wärmt, Personen in Gebäuden um Ground Zero nun eine bessere Sicht genießen, Hitler die Autobahn gebaut hat und Bergstedt sich freut, "Würstchen" im Container zu finden.

Apropos, da verwundert es auch nicht, dass er sich zu einer derzeit zunehmend beliebten Absurdität versteigt:
"Die neutrale Wirkung des Containers ist unabhängig davon, ob er, sie oder es da Kartoffelchips oder Würstchen rausholt. In der realen Wirkung auf Tiere ist das bluttriefende Medium-Steak aus dem Container deutlich Veganer[sic!] als die Erbsen aus dem Laden - weil es auf die Wirkungen auf Tiere ankommt, nicht auf den äußeren Schein!" (Bergstedt, a.a.O.)
In Wahrheit ist die Wirkung - allein die Signalwirkung - durch die Betrachtung von Gewaltprodukten als "Lebensmittel", nur weil sie kostenlos sind, natürlich fatal, denn wer sie konsumiert, zementiert damit den Speziesismus in seinem eigenen Kopf und, tut er es öffentlich, den im Kopf der anderen. Da helfen auch vorgeschobene (in Wahrheit, z.B. an Medienberichten über Freeganismus zu erkennen, kaum praktizierte), "Erklärungen", dass nun gerade dieses spezielle Tierausbeutungsprodukt, weil gratis, keinen "Schaden" anrichte, nichts.

Die Praxis sieht so aus: wer sich sowohl mit dem Adjektiv "vegan" schmücken als auch Tierausbeutungsprodukte konsumieren will, manipuliert eben idiosynkratisch das Wort vegan, nennt gefundene leichengefüllte Därme, abgelaufene Drüsensekretprodukte, über dem Haltbarkeitsdatum liegende Baumkuchen mit Vogelmenstruationsprodukten "container-vegan" oder "politisch vegan". Praktisch: Freibier ist also, egal was enthalten ist und wie es geklärt wurde, "politisch vegan". Probierwurst bei der Verkostung im Laden oder die Häppchen bei Vernissagen sowieso. Und wenn's bei McDonald's auf Coupon den zweiten Burger mal wieder umsonst gibt, gehen sie mit ihrem unveganen, pardon, wie können wir das euphemisieren, vielleicht "mental veganen" (d.h., er frisst Leichen, denkt dabei aber an Gras) Kumpel hin und teilen sich den Coupon.

Im 3. Reich wurden beispielsweise Matratzen mit den Haaren von KZ-Gefangenen gefüllt. Hätte sich jemand, der eine solche vor gut sechs Jahrzehnten aus einem Abfallhaufen gezogen hätte, um sie dann zu benutzen, ernstlich "container-antifaschistisch" oder "politisch menschenrechtlerisch" nennen können?

Manche haben eben immer noch nicht begriffen, dass Kuhmilch oder Hühnereier keine "Lebensmittel" für Menschen, sondern Todesprodukte für andere Tiere sind. Denn auch wenn sie aus dem Müll kommen - bezahlen muss dafür immer jemand. Mit dem Leben.

Verwunderlich dagegen ist, dass Bergstedt alle Nase lang seine eigenen simplen Strickmuster als "komplex", als "um die Ecke denken", "kaum überschaubar", "kompliziertes Beziehungsgeflecht", "nur erfassbar mit einem aufmerksamen, durchdringenden Blick" usf. bezeichnet - das erinnert ein wenig an einen beinlosen, der das gemütliche Schlendern eines Spaziergängers als "Dahinrasen" wähnt.

An dieser Stelle kann nicht en detail auf jedes der Pseudoargumente eingegangen werden - und muss auch nicht, schließlich sind diese Pseudoargumente so banal, dass sie tausendfach aus den Federn (pun intended) der Speziesisten kommen; und so bekannt, dass sie ebenfalls schon tausendfach allesamt widerlegt sind. Was wiederum zeigt, dass Bergstedt a) sich nicht informiert hat oder b) die Fakten bewusst unterschlägt.

Das Bergstedt-Traktat ist schließlich nur ein Beispiel, ob der mangelnden Originalität könnte hier auch jede andere "Veganismuskritik" abgehandelt werden. Da ginge es dann vielleicht auch noch um "Kritikpunkte" wie den "Mähtod" (der de facto primär durch Unveganismus verursacht wird), esoterische "Pflanzenrechte", so etwa "das Schluchzen des Blumenkohls, das Wimmern des gestochenen Spargels, den Schrei der brutal zerhackten Petersilie" (Jutta Ditfurth, Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus. Konkret Literatur Verlag, 1996), den Proteinmangel durch vegane Ernährung oder die drohende Arbeitslosigkeit der Droschkenkutscher - in der Welt der Veganismuskritiker muss die Erde eine Scheibe sein, sonst würden wir schließlich immer bergab laufen. Und so scheinen auch Bergstedts "Argumente" containert - aus dem Müll gezogen, abgelaufen, überm Verfallsdatum.

Denn in Wahrheit ist Bergstedt nichts weiter als ein Speziesist von vielen, der mit diesem Sammelsurium aus Halbwahrheiten seinen Speziesismus zu rechtfertigen versucht. Diesen seinen Speziesismus entlarvt er dankenswerter weise selbst:
Nicht besonders dramatisch
Nicht besonders dramatisch
"Ich will mehr als dass nur die auffälligsten Formen von Tierleid beendet werden, während Milliarden anderer Tiere, zudem Pflanzen und Ökosysteme sowie, besonders dramatisch, Menschen und ihre Befreiung irgendwo im Nebel verschwinden." (Bergstedt, a.a.O.)
"Besonders dramatisch" sind also nicht milliardenfache Morde an denkenden, fühlenden Individuen, sondern dass angeblich "Menschen und ihre Befreiung im Nebel verschwinden". Was, ganz davon abgesehen, wieder eine unhaltbare Unterstellung ist: Menschen sind Tiere, Tierrechte also selbstverständlich auch Menschenrechte. Schließlich tut, wer vegan lebt, automatisch etwas für Menschen, beispielsweise gegen das Welthungerproblem, und viele belassen es auch nicht dabei, sondern engagieren sich nicht nur allgemein für Tierrechte, sondern auch explizit für Menschen-, Kinder-, Frauenrechte usw. So hat allein die Tierrechtsinitiative Maqi zwei Projekte initiiert, die sich explizit mit Menschenrechten befassen (www.antitheismus.de und www.antisexismus.de). Wenn ich aber grade konkret Antirassismus fordere, dann ist es im Allgemeinen eher kontraproduktiv, dies ausschließlich völlig abstrakt zusammen mit allen anderen "Herrschaftsformen" zu formulieren. Gleiches gilt selbstverständlich für Veganismus. Sicher ist es bedauerlich, wenn manche Veganer nur "passiv" keine Tiere für ihren Konsum ermorden (lassen), keine Häftlinge "hinrichten", keine Sklaven halten, statt sich aktiv für Veganismus, gegen die "Todesstrafe", gegen Sklaverei usw. zu engagieren, doch das kann allenfalls diesen Individuen vorgeworfen werden und ist keinesfalls eine Kritik am Veganismus per se.

Da wirkt es angesichts der massiven Antiveganismushetze, die er betreibt, reichlich zynisch, wenn Bergstedt zu Beginn seines Texts behauptet:
"Dabei geht es nicht um eine Absage an veganes Leben, ganz im Gegenteil." (Bergstedt, a.a.O.)
Das klingt a posteriori wie Ulbrichts: "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten." Angenommen es wäre wahr, Ulbricht hatte lediglich vor, als Mäzen für Graffitikünstler in die Geschichte einzugehen und Bergstedt wollte mit seinem Aufsatz "im Gegenteil" eine "Zusage" an "veganes Leben" erteilen ... Selbst hehre Motive unterstellt - es ist offensichtlich, dass es die nicht gibt - so ist seine Veröffentlichung bestenfalls verantwortungslos, denn die tatsächliche Wirkung des Texts (wenn die beabsichtigte eine ehrenwerte gewesen und der Autor lediglich missverstanden worden wäre) ist vielsagend. Das Ergebnis ist, dass der Text speziesistische Propaganda transportiert - und so den Ausbeutern ein Messer in die Hand drückt. Die zahlreichen Reaktionen des Gros' der Rezipienten sind eindeutig. Befürworter des Texts bezeichnen ihn explizit als "Veganismuskritik". Deutlich fasst ein anonymer Kommentar in einem Weblog zusammen:
"Und gerade dieser Text wirft doch die Frage, warum überhaupt vegan, wenns[sic!] sowieso fürn[sic!] Arsch ist, überdeutlich auf."
Veganismus ist jedoch im Gegenteil, es mag bereits erwähnt worden sein, notwendig, wenn auch nicht hinreichend. Dafür braucht es keinen mehrseitigen Artikel voller als großartige neue Erkenntnisse dargestellten Binsenweisheiten, Halbwahrheiten, bei denen die wesentlichen Aspekte - ob nun absichtlich oder aus Ignoranz sei dahingestellt - unterschlagen werden, und Lügen; keinen Artikel, der Blut auf die Mühlen der Tierausbeuter ist.
"Der Kopf ist zum Denken da! Los, lass ihn uns nutzen - immer weiter Fragen stellen, Wissen sammeln, ausprobieren, wieder hinterfragen, reflektieren, Neues suchen und noch was Neues ausprobieren, sich austauschen, lernen, neue Ideen, wieder ausprobieren usw. [...] Denn dass etwas komplex ist, heißt doch nur, dass wir mehr Gehirnzellen aktivieren müssen, um es zu hinterfragen, zu analysieren und Handlungsstrategien zu entwerfen" (Bergstedt, a.a.O.)
Wunderbar - soll er das machen, sich endlich informieren, Fakten und Argumente zur Kenntnis nehmen, zurückfinden in die Realität. Soll er anfangen zu denken statt abstruse speziesistische Meme nachzuplappern. Wenn es ihm zu "komplex" wird, kann er sich ja gern an Leute wenden, die etwas davon verstehen - auf www.veganismus.de zum Beispiel. Aber ein weiteres peinliches, speziesistisches, tierrechts- und veganismusfeindliches Traktat braucht wirklich keiner.

Bleibt als Fazit: die Verbreitung des Bergstedtschen Machwerks ist ethisch inakzeptabel und verantwortungslos - eben nichts als Antiveganismuspropaganda, die, da viele darauf hereinfallen (wollen), dem Veganismus und den Tierrechten schaden und somit Leben kosten wird.

Ein Gutes hat der Text. Er demonstriert mit seiner Argumentlosigkeit, damit, dass der Autor gezwungen ist, die Realität zu verzerren, um scheinbar etwas gegen Veganismus einwenden zu können, eines: es gibt keine ernstzunehmende Veganismuskritik.

Denn Veganismus mag nicht hinreichend sein, notwendig ist Veganismus allemal.


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